Durchs Wasser gleiten sie so schwerelos, als könnten sie fliegen. An Land robben die Seehunde eher unbeholfen umher und sehen einfach zu putzig aus, wenn sie winken. Die Seehundfütterung ist eines der Highlights beim Tierparkbesuch.
Doch hinter den Übungen, die für die Besucherinnen und Besucher wie ein Spiel aussehen, steckt viel Training. Der Tierpfleger kontrolliert etwa den Zustand der Zähne und der Haut. Jede Fütterung ist so gleichzeitig ein Gesundheitscheck. Wie possierlich die Seehunde auch aussehen mögen, sie haben spitze Zähne. Für eine solche Fütterung mit Tierkontakt hat deshalb im Vorfeld eine spezielle Gefährdungsbeurteilung stattgefunden, denn die Sicherheit der Mitarbeitenden, das Wohl der Tiere sowie die Anforderungen von Besucherinnen und Besuchern sind eng miteinander verknüpft und müssen von den Verantwortlichen stets im Blick behalten werden. Um die Sicherheit und Gesundheit des Menschen – umgeben von Wildtieren – kümmert sich Matthias Bludau von der VBG. Er berät den Tierpark + Fossilium Bochum seit zwanzig Jahren. „Die Sicherheitsmaßnahmen im Tierpark sind vorbildlich. Der Tierpark Bochum hat als einziger Zoo in Deutschland eine gültige AMS-Bescheinigung“, sagt Bludau.
AMS steht für Arbeitsschutz mit System und integriert den Arbeitsschutz in die betriebliche Organisation zum Vorteil der Beschäftigten und Unternehmen. Dies gilt grundsätzlich für alle Betriebe. Der VBG-Experte Bludau erklärt: „Es gibt in Zoos aber zwei wesentliche Unterschiede zu anderen Branchen: zum einen der Umgang mit Tieren, der je nach Risikopotenzial der Tiere geregelt werden muss. Das tierische Verhalten lässt sich nicht immer in detaillierte Arbeitsanweisungen zwängen. Zum anderen ist es die große Bandbreite der Gefährdungen, die in Zoos anzutreffen sind.“
Sicheres und gesundes Arbeiten ist ein erklärtes Unternehmensziel der Tierpark Bochum gGmbH.
Zum Beispiel gilt für jede Fütterung: Diese darf nur von speziell ausgebildeten Zootierpflegerinnen und Zootierpflegern des zuständigen Reviers durchgeführt werden. Und auch alle anderen mit der Tätigkeit zusammenhängenden Gefährdungen, zum Beispiel Absturzgefahren, werden im Vorfeld genauestens analysiert. Denn darum, Gefährdungen zu erkennen und möglichst zu vermeiden, geht es bei AMS. Das haben die 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Tierparks Bochum längst verinnerlicht. Der Tierpark Bochum führte schon im Jahr 2016 mit Unterstützung der VBG ein AMS ein und ist bis heute der einzige Zoo in Deutschland mit AMS-Bescheinigung.
Zoodirektor Ralf Slabik: „Sicheres und gesundes Arbeiten ist ein erklärtes Unternehmensziel der Tierpark Bochum gGmbH.“ Und er fügt stolz hinzu: „In Publikationen der VBG wird der Arbeitsschutz des Tierparks Bochum – zum Beispiel in der Aquaristik und Terraristik – als vorbildlich dargestellt.“
Vorbildlich geht es auch im Dreh- und Angelpunkt der Tierpflege zu – in der Futterküche. Zootierpfleger Nicolas Jung bereitet den Tieren ihre Mahlzeiten zu. Dabei ist das Tragen von schnittfesten Schutzhandschuhen ebenso Pflicht wie die Einhaltung der Vorgaben des Hautschutzplanes. Edelstahlflächen sowie eine Spülstraße am Waschtisch ermöglichen eine einfache Reinigung aller Küchenelemente. Schön an der Schaufutterküche ist im Tierpark Bochum auch, dass Besucherinnen und Besucher spannende Einblicke in den Arbeitsalltag der Zootierpflegerinnen und Zootierpfleger bekommen.
In den drei Jahren seit der ersten Begutachtung haben 16 Beschäftigte aus den Abteilungen Zoologie, Zootechnik, Zooverwaltung und Zoopädagogik rund 20 externe Fortbildungen besucht.
Im Februar 2019 führte die VBG wieder ein zweitägiges Begutachtungsverfahren durch, um das vor drei Jahren im Tierpark eingeführte AMS zu prüfen. Als Basis hierfür gelten der Grundsatz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und der Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Übrigens: Ein wirksamer Arbeitsschutz dient nicht nur der Sicherheit und der Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Betriebs, sondern hilft auch dabei, alle Ressourcen möglichst optimal auszuschöpfen und kontinuierlich zu verbessern. Ein wichtiger Nebeneffekt: AMS dient gleichzeitig der Rechtssicherheit für den Betrieb.
Insbesondere am Anfang des Prozesses war es viel Arbeit, die wir investiert haben, aber der Aufwand hat sich rückblickend auf jeden Fall gelohnt. Für mich besonders erfreulich: Nach anfänglicher Skepsis haben alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesen Schritt unterstützt.
Dies bedeutet im Tierpark Bochum: Fortbildungen und Wiederholungsunterweisungen finden mindestens einmal jährlich und zusätzlich nach Bedarf statt. Quartalsmäßige Arbeitsschutzausschusssitzungen unter Teilnahme der Betriebsärztin oder des Betriebsarztes, der Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Sicherheitsbeauftragten der einzelnen Abteilungen dienen der regelmäßigen Beurteilung möglicher Gefährdungen sowie der Kontrolle der Umsetzung von Schutzmaßnahmen.
Wie spielerisch und routiniert diese dann umgesetzt werden, ist nicht nur bei den Seehunden zu beobachten, sondern auch bei den Schlangen. Die Tierpflegerinnen und -pfleger im Aquarium am anderen Ende des zwei Hektar großen Tierparks, der 3.800 Tiere in 300 Arten beherbergt, achten penibel darauf, alle Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. Der direkte Kontakt ist nötig, wenn Tiere etwa veterinärmedizinisch untersucht werden müssen.
Auch wenn der Tierpark keine Giftschlangen hält, ist bei den großen Würgeschlangen das Tragen von Schutzkleidung Pflicht – etwa langärmelige Kleidung und Stulpenhandschuhe. Bei Bedarf kommt bei einigen Schlangen auch der Schlangenhaken zum Einsatz. Durch den Haken kann das Tier mit Abstand hochgehoben und der Schlangenkopf vom Körper ferngehalten werden. Bludau ergänzt: „Zum täglichen Geschäft gehört auch das Vorhandensein von Zoonosen. Dies sind Infektionskrankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können, etwa Salmonellen bei Reptilien.“
Von den Schlangen zu den Seesternen ist es nur ein Katzensprung. Das Riffbecken fasst 170.000 Liter Salzwasser und bietet Anemonen-, Igel-, Drücker- und Doktorfischen ein Zuhause. Wimpelfisch, Seesterne, Seeigel und der Braungebänderte Bambushai haben heute Besuch im Becken: Jede Woche taucht Aquarienpfleger Julian Hecker, um die Scheiben vom Algenbewuchs zu befreien. Doch auch hier wird die Sicherheit mit dem Hineingleiten ins Wasser nicht abgegeben – im Gegenteil. Nur ausgebildete Taucherinnen und Taucher sind im Einsatz. Trotz aller Vorkehrungsmaßnahmen bleibt das Risiko, dass der Kreislauf der Taucherin oder des Tauchers zusammenbricht, sie oder er sich stößt oder sich anderweitig verletzt und gerettet werden muss. Deshalb begleitet immer eine Sicherungstaucherin oder ein -taucher außerhalb des Beckens den Tauchgang und konzentriert sich voll auf die Kollegin oder den Kollegen – nicht etwa auf die schön schimmernden Fische. Ein ausgeklügeltes „Rutschen-System“ hilft im Notfall dabei, trotz räumlicher Enge eine bewegungseingeschränkte Taucherin oder einen Taucher sicher aus dem Becken zu bergen.
Für die Sicherheit von Tier und Mensch ist dank AMS gesorgt. So bleibt es den Besucherinnen und Besuchern überlassen, sich gedankenlos in Bochums bunte Fischwelt zu vertiefen, die Schlangen zu beobachten und über die Späße der Seehunde zu lachen.
Weitere Infos zum Thema Arbeitsschutz mit System: www.vbg.de/ams.
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