Hantieren mit Viren: So schützen sich Lebensretter
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Das Brummen der Luftfilteranlage hallt durch Flure, die an eine Klinik erinnern. Es geht vorbei an Rohren, Tanks und Glastrennwänden, Schaufenstern in die Forschung: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in weißen Kitteln und Schutzanzügen pipettieren, schauen durch Mikroskope, züchten Kulturen in Petrischalen. In abgeriegelten Reinräumen entwickeln sie Krebstherapien, in Laboren der Schutzstufe zwei (S2) und drei (S3) untersuchen die Forschenden Viren und Bakterien, die dem Menschen gefährlich werden können. Der Umgang mit Krankheitserregern – Alltag im Leipziger Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI).
Im Reinraum zählt höchste Sorgfalt. Hier programmieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem Immunzellen um, die dann gegen Krebs eingesetzt werden. Zell- und Gentherapie nennt man das, oft die letzte Chance von Krebspatientinnen und -patienten auf Heilung. Fehler und Verunreinigungen würden die Wirkstoffe unbrauchbar machen, Erkrankte erhielten dann schlimmstenfalls nicht ihre Therapie. Ein verantwortungsvoller Job. Kein Staubkorn darf hineingelangen. Wer hier arbeitet, muss durch mehrere Schleusen, sich umziehen und drei Lagen Schutzkleidung anlegen.
Nebenan hingegen darf nichts hinaus: Im S3-Labor entwickeln die Forschenden unter anderem neue Impfstoffe für potenziell gefährliche Erreger, darunter das West-Nil-Virus und das Denguefieber. Während im Reinraum Überdruck herrscht, damit nichts in das Labor eindringt, wird im S3-Labor bei Unterdruck gearbeitet. Dies verhindert, dass ein Erreger die Anlage verlässt.
Ein paar Flure weiter in den Laboren der Schutzstufe zwei. Auf langen Tischen reihen sich Geräte und Behälter, ihre Etiketten warnen vor biologischer Gefahr. Hier tüftelt Natalia Sandetskaya an neuen Diagnoseverfahren. „Ärztinnen und Ärzte können durch unsere Erkenntnisse zuverlässiger die Ursache für eine Infektion feststellen“, so die Biomedizinerin. Dazu hantieren sie und ihr Team unter anderem mit Chlamydien und Staphylokokken. Alle kritischen Handgriffe führt Sandetskaya in einer Sicherheitsbank durch. Darin hält ein Luftstrom die Mikroorganismen zurück.
Wird einem da manchmal mulmig? „Respekt trifft es eher. Es gibt viele Regeln“, erklärt Dirk Kuhlmeier, als Gruppenleiter verantwortlich für den Arbeitsschutz. Einige davon: Die Fenster bleiben zu, Laborkleidung bleibt im Labor, Handdesinfektion ist Pflicht, Essen und Trinken sind tabu. „Finden wir auch nur die Verpackung eines Schokoriegels im Müll, gibt es aufwendige Untersuchungen“, so der gebürtige Wolfsburger.
Mulmig werde einem höchstens, wenn jemand Symptome zeigt. „Eine Doktorandin hat mit Chlamydien hantiert und bekam eine Augenentzündung. In so einem Fall machen die Arbeitsmediziner einen Abstrich“, sagt der Chemiker. Zum Glück konnten die Bakterien bei ihr nicht nachgewiesen werden. Falls doch, wird untersucht: Wo liegen Schwachstellen? Werden alle Vorkehrungen getroffen?
Fragen, mit denen sich der Biologe Peter Ruschpler beschäftigt, ein energischer Mann mit zügigem Gang. Als Beauftragter für biologische Sicherheit überprüft und berät er alle 17 Forschungsgruppen, die insgesamt 400 Mitarbeitende zählen. Die vielen Fachbereiche mit verschiedenen Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten erfordern eine zentrale Regelung der Sicherheit. „Arbeitssicherheit geht hier Hand in Hand mit der Umweltsicherheit. Kein Erreger darf die Labore verlassen“, sagt der Leipziger, der selbst ein Team leitet, das Tumorstammzellen untersucht.
„Angst ist ein schlechter Ratgeber, Routine führt zu Fehlern. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sich gut selbst einschätzen können.“
Alle Mitarbeitenden werden persönlich unterwiesen und geimpft, wenn nötig. Jeder Bereich erfordert eine spezielle Ausbildung und Vorkehrungen. So muss etwa behördlich gemeldet werden, wer im S3-Bereich arbeiten darf. Strenger sind nur S4-Labore, von denen es bundesweit nur fünf gibt. „Darin werden sogar Pocken und Ebola untersucht“, erklärt Ruschpler und öffnet eine Tabelle auf seinem Laptop. Welcher Erreger welche Stufe erfordert, zeigt die Datenbank der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit. „Bevor wir einen Erreger ins Haus holen, bereiten wir alles vor.“
Der Risikofaktor Mensch lasse sich nie ausschließen. „Wichtig ist es, weder mit Angst noch mit Routine zu arbeiten“, so Ruschpler. Deswegen müsse sich jeder und jede Forschende vor dem Einsatz selbst einschätzen, ob er oder sie gewissenhaft handele. Alle achten genau aufeinander – was einmal zu einer kuriosen Meldung führte: Kuhlmeier und sein Team hätten Bier im Labor. Rasch entwarnte der Gruppenleiter: „Wir haben Bakterien untersucht, die in Brauereien das Bier verderben. Das Bier stand hier also nur zu Forschungszwecken.“
S1
In den bundesweit 4.500 S1-Anlagen gelten nur allgemeine Hygienemaßnahmen, Kittel und Handschuhe sind aber ein Muss. Organismen wie das Kolibakterium erfordern das Arbeiten an einer Sicherheitsbank.
S2
1.700 Labore erfüllen hierzulande den S2-Standard. Sie müssen klar von anderen Räumen abgegrenzt und täglich desinfiziert werden. Die untersuchten Organismen dürfen nicht lebensbedrohlich sein und sich nicht über die Luft übertragen.
S3
Von diesen Laboren gibt es in Deutschland schon deutlich weniger: 102. Der Umgang mit gefährlichen Viren und Bakterien verlangt unter anderem Schutzkleidung, Schleusen, Unterdruck, Notfallbegasung, Notstrom, Abwasser- und Luftfilterung. Alles, was rausgeht, wird noch im Labor sterilisiert.
S4
Dreifache Schleuse, Schutzanzug mit Sauerstoffzufuhr, Duschen: Bundesweit gibt es nur fünf S4-Labore. Die dort untersuchten Erreger wie Pocken und Ebola zählen zu den gefährlichsten überhaupt. Daher sind die Schutzmaßnahmen besonders streng.
Sicher arbeiten im Forschungslabor – so geht’s: Die VBG bietet auf ihrer Website Fachinformationen und Arbeitshilfen, um die Arbeit in Forschungseinrichtungen vorausschauend und sicher zu organisieren.