Herr Prof. Dr. Gege, Sie beschäftigen sich seit 40 Jahren damit, Unternehmen für Nachhaltigkeit zu begeistern. Können Sie uns Ihre persönliche Definition dieses mittlerweile fast inflationär gebrauchten Begriffs geben?
Unternehmen, die am Markt langfristig erfolgreich bleiben wollen, müssen heute verstärkt darüber nachdenken, wie sie sich nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial und ökologisch engagieren können. Dabei gilt es, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und so die Lebenschancen heutiger und zukünftiger Generationen weltweit zu bewahren. Nachhaltigkeit bedeutet gelebte Zukunftsverantwortung. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer haben über den Fortbestand ihres Unternehmens hinaus ein Interesse daran, ihren Beschäftigten und deren Familien ein gutes Leben zu sichern. Wer „nachhaltig“ wirtschaftet, setzt sich für die Zukunftssicherung der Gesellschaft ein und garantiert so auch langfristig Markterfolg.
Sie gelten als einer der prominentesten Vertreter einer neuen Unternehmensethik. Was ist der erste Schritt für Unternehmen, die sich dem Thema Nachhaltigkeit öffnen wollen?
Ein Unternehmen besteht wie der Mensch aus mehreren Organen. Wir empfehlen am Anfang immer eine konstruktive Bestandsaufnahme. Hierfür gibt es verschiedene Verfahren und Standards. Die 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedeten „Sustainable Development Goals“ (SDG) gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung. Unsere diesbezügliche Beratung wird zumindest von immer mehr Unternehmen angefragt. Der Stand der betrieblichen Nachhaltigkeit kann anhand der 17 Ziele mit einem ganzheitlichen Anspruch festgestellt und bewertet werden. Ganz wichtig ist dabei: Es macht keinen Sinn, wenn das Management die Ansage macht, dass jetzt nachhaltiger gewirtschaftet werden soll. Man muss das Team auf diese Reise mitnehmen. Am besten mit sehr klaren Zielvorgaben, wie etwa: „Wir möchten unsere Energiekosten im kommenden Jahr um 20 Prozent reduzieren.“
Vielerorts heißt es, in Pandemiezeiten hätten Unternehmen erst recht nicht genügend Geld, um Klimaschutz zu betreiben oder ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen. Sie vertreten seit Jahren die These, dass Nachhaltigkeit Kosten spart, und haben dazu mehrere Bücher veröffentlicht. Wo liegen die größten Einsparpotenziale?
Die vielfach geforderte Energiewende erfordert nicht nur eine intensivere Nutzung der erneuerbaren Energien. Sie ist nur zu erreichen, wenn auch der Energieverbrauch deutlich sinkt und endlich alle schon heute möglichen Energieeffizienz-Maßnahmen umfassend realisiert werden. Das Geld liegt in Fabrikhallen, Büros und Rechenzentren, aber niemand hebt es auf. Investitionen im Bereich Energie- und Ressourceneffizienz, zum Beispiel Druckluft, Kühlung, Abwärmenutzung und insbesondere Beleuchtung, sparen so viel Energie ein, dass sich manche nach zwei Jahren schon amortisiert haben.
Große Unternehmen verfügen häufig über Nachhaltigkeitsabteilungen mit mehreren auf Klimaschutz und soziale Fragen spezialisierten Beschäftigten. Was empfehlen Sie kleinen Unternehmen, die nicht über derartige personelle Ressourcen verfügen, oder Unternehmen, die nichts produzieren, sondern ganz gewöhnliche Büros betreiben?
Rund 18 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland im Büro. Der Impact eines einzelnen Büros wirkt erst einmal unproblematisch. Betrachtet man aber die Umweltbelastungen aller Büros in Deutschland insgesamt, sind diese enorm. Daten unseres Wettbewerbs „Büro & Umwelt“ zufolge verbrauchen die Deutschen im Jahr durchschnittlich 250 Kilogramm Papier pro Kopf, wofür wir täglich rund 0,75 Kilogramm Holz benötigen. In deutschen Büros werden schätzungsweise 800.000 Tonnen Papier pro Jahr eingesetzt. Papier ist aber nicht das Einzige, was in Büros massenweise verwendet wird. Vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden durch digitale Medien verursacht. Laut dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind im Jahr 2018 weltweit schätzungsweise 50 Millionen Tonnen Elektroschrott angefallen. Aufbereitete Hardware beispielsweise kann dazu beitragen, dass bis zu 80 Prozent der für die Produktion nötigen Energie eingespart werden können. Gleichzeitig ist sie viel günstiger.
Diese Krise könnte einen Wandlungsprozess einleiten, indem wir eine neue, ganzheitliche Perspektive auf unsere Welt gewinnen.
Wer seine Prozesse umstellt, hat also für die Zukunft vorgesorgt?
Leider ist das nur die eine Seite der Medaille. Unternehmen müssen auch ihre Geschäftsmodelle kritisch unter die Lupe nehmen. Wer immer noch darauf beharrt, dass ihr oder sein Unternehmen jährlich fünf Prozent mehr umsetzen muss, argumentiert realitätsfern. Die Welt ist endlich, die Ressourcen sind endlich, und wir sind bereits an die Grenzen gestoßen. Das heißt, wir müssen überlegen, wie wir ein qualitatives Wachstum bekommen, um das quantitative Wachstum längerfristig zu eliminieren.
Sie betreiben auch ein Projekt mit dem Titel „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“. Sind das nicht Gegensätze?
Wir fragen uns, wie die Digitalisierung für eine lebenswerte Zukunft genutzt werden kann – ökologisch, sozial, ethisch und ökonomisch wertvoll. Manche Unternehmen können durch eine intelligente Datenvernetzung Büromaterial in Höhe von 30 Prozent des Gesamtbedarfs einsparen. Auch das Internet der Dinge kann eine Chance für mehr Nachhaltigkeit sein. Dabei dürfen wir die soziale Komponente der Nachhaltigkeit nicht außer Acht lassen. Viele Jobs fallen weg. Algorithmen ersetzen Menschen. Arbeit muss neu organisiert, strukturiert und verändert werden. Die Coronakrise hat uns gezeigt: Unternehmen, welche Homeoffice vor Kurzem noch für unvorstellbar hielten, haben nun erlebt, wie es von einem Tag auf den anderen doch möglich wird. Wer nicht täglich zur Arbeit pendeln muss, spart durchschnittlich 15 Tonnen CO2 und eine Woche Lebenszeit pro Jahr. Laut einer aktuellen Studie könnten in der Europäischen Union pro Jahr rund 22 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden, wenn Videokonferenzen nur 20 Prozent der vorgesehenen Geschäftsreisen ersetzen würden. Das ist nachhaltiger und würde wiederum erhebliche Kosten sparen.
Umweltmanagement bei der VBG
Die akkreditierte Zertifizierungsgesellschaft TÜV SÜD Management Service hat der VBG die Umsetzung der internationalen Norm DIN EN ISO 14001 bescheinigt. Die Norm legt Anforderungen an ein Umweltmanagementsystem (UMS) fest, mit dem eine Organisation ihre Umweltleistung verbessern, rechtliche und sonstige Verpflichtungen erfüllen und Umweltziele erreichen kann. Seit 2019 und noch bis Ende 2021 führt die VBG in der Hauptverwaltung und allen Bezirksverwaltungen ein Umweltmanagementsystem ein. Der Fortschritt des UMS sowie der Erreichungsgrad der Umweltziele werden dabei jährlich von unabhängigen Auditorinnen und Auditoren überprüft.
Das Zertifikat zeigt, dass sich die VBG als bundesweit tätige Berufsgenossenschaft ihrer hohen Verantwortung zum Schutz und zur Bewahrung der Umwelt und zur Verbesserung des Klimaschutzes bewusst ist. „Dabei bringen wir Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit auf einen Nenner“, so Angelika Hölscher, Vorsitzende der VBG-Geschäftsführung. Auch für 2021 gibt es konkrete Ziele. Unter anderem sollen die digitalen Kommunikationskanäle der VBG wie etwa das Certo-Portal und der Newsletter weiter ausgebaut werden und somit die Umwelt schonen. Haben Sie unseren Newsletter schon abonniert?
Veröffentlicht am