Herr Pezold, Sie arbeiten bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall bereits seit Längerem agil. Was war der Anlass, diese Arbeitsweise einzuführen?
Wir haben agiles Arbeiten vor sechs Jahren zunächst in der Anwendungsentwicklung eingeführt. Grund war, dass es immer schwieriger wurde, die zahlreichen Anforderungen, die von verschiedenen Stakeholdern an uns herangetragen wurden, zu erfüllen. In der agilen Arbeitsweise haben wir die Lösung für dieses Problem gesehen.
Wie sieht diese Lösung in Ihrem Fall aus?
Die agile Arbeitsweise schafft Transparenz. Wir haben jetzt klarere Prioritäten, in die sich neue Anforderungen einordnen müssen – und zwar anhand unternehmerischer Aspekte. Wird etwa ein kleineres Projekt an uns herangetragen, das sich schnell rentiert, ziehen wir das gegenüber einem langfristigen vor, das erst viel später Effekte erzielt. Agil können wir die an uns gestellten Anforderungen besser koordinieren und priorisieren. Früher haben wir rein auf Termine hingearbeitet, nach dem Muster: „Bitte entwickelt Produkt X zum Zeitpunkt Y.“ Ohne im Vorfeld zu wissen, was das überhaupt bedeutet. Durch die angesprochene Transparenz können wir viel realistischere Timings setzen und Enttäuschungen über Ergebnisse, die nicht den Erwartungen entsprechen, vermeiden. Das agile Vorgehen war für uns der Schlüssel, um diesen Knoten zu lösen.
Wir haben festgestellt, dass es unsere Mitarbeitenden zufriedener macht.
Welche positiven Effekte agiler Arbeit konnten Sie darüber hinaus seit der Einführung bei Schwäbisch Hall beobachten?
Wir haben festgestellt, dass es unsere Mitarbeitenden zufriedener macht. Sie bekommen mehr Verantwortung, können selbst entscheiden, wohin die Reise geht. Gleichzeitig merken sie, dass sie in ihren Teams geschützt sind und entlastet werden, sich also voll auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. In der Softwareentwicklung sind wir durch das agile Arbeiten zudem in der Lage, in deutlich kürzeren Zyklen mit Neuerungen herauszukommen. Für eine Außendienstsoftware zum Beispiel releasen wir jetzt häufiger im Jahr und sind viel näher an den Nutzerinnen und Nutzern, bekommen schneller direktes Feedback.
Gab es in Ihrem Team Vorbehalte gegenüber der agilen Arbeitsweise? Wie begegnen Sie diesen, damit agile Arbeit nicht zur Belastung wird?
Veränderungen bringen immer auch Bedenken mit sich. Die täglichen Meetings etwa haben anfangs bei einigen die Sorge hervorgerufen, zu viel Zeit zu fressen und sie von der eigentlichen Arbeit abzuhalten. Heute sind diese Dailys – da sind wir uns einig – nicht mehr wegzudenken. Entscheidend ist, dass man die Leute mitnimmt, ihnen klarmacht, warum man agil arbeiten möchte: Weil man genau die „Schmerzpunkte“, die sie selbst spüren, damit beseitigen will. Man muss sie begleiten, ihre Bedenken ernst nehmen und sie gleichzeitig motivieren, es auszuprobieren. Und ihnen klarmachen: Nichts ist in Stein gemeißelt. Wenn etwas nicht funktioniert, probiert etwas anderes aus. Wenn ein Team mit wöchentlichen Meetings besser fährt als mit täglichen, soll es das tun. Außerdem ist eine positive Fehlerkultur wichtig.
Welche Herausforderungen sehen Sie abseits der agilen Teams im Unternehmen?
Wichtig ist es, die Schnittstellen einzubeziehen: Abteilungen, die auf die Arbeit der agilen Teams angewiesen sind, muss man klarmachen, dass man sich verändert, aber weiterhin liefert, was gebraucht wird. Vielleicht in anderer Form, aber genauso zuverlässig – und wahrscheinlich sogar in höherer Qualität. Grundsätzlich muss man sich bewusstmachen, dass die Einführung agiler Arbeit ein echter Change-Prozess ist. Man tauscht nicht einfach Tool A gegen Tool B aus. Es ist ein Umdenken in der Unternehmenskultur vonnöten, ein anderes Mindset. Das kann gerade für Führungskräfte schwierig sein, weil selbstorganisierte agile Teams für sie ein Stück weit Kontroll- oder Machtverlust bedeuten.
Die VBG-Roadmap „Gesund agil arbeiten“ bietet Unterstützung für Unternehmen, die agiles Arbeiten einführen oder weiterentwickeln möchten. Schwäbisch Hall war an dem Forschungsprojekt der VBG beteiligt, aus dem dieses Praxistool hervorgegangen ist. Wie lief das ab?
Als die Idee für das Forschungsprojekt aufkam, hat man uns aufgrund unserer Erfahrung in diesem Bereich gefragt, ob wir daran teilnehmen wollen. Los ging es 2020 mit einem Erfahrungsträger-Forum, in dem wir grundlegende Fragen diskutiert haben: Was ist agiles Arbeiten eigentlich? Welche Vorteile hat es? Wo liegen die Herausforderungen? Von da an standen wir in regelmäßigem Austausch, haben einen gemeinsamen Workshop mit einem unserer agilen Teams durchgeführt und die Entwicklung der Roadmap begleitet – und diese bei uns auch erprobt.
Wie können Unternehmen Ihrer Meinung nach von der Roadmap profitieren?
Die Roadmap hilft zum Beispiel dabei, im Vorfeld wichtige Fragen zu beantworten: Wie kann mir agile Arbeit helfen? Wo kann ich sie einsetzen? Wofür ist sie geeignet, wofür nicht? Klar ist: Die Einführung agiler Arbeit erfordert viel Planung, viel Vorbereitung. Hier hilft die Roadmap, alle relevanten Aspekte mit Blick auf das eigene Unternehmen zu beleuchten, und bietet somit eine gute Vorbereitung auf die agile Transformation. Denn die ist ein Change-Prozess, der begleitet werden muss.
Sie haben vor allem Ihre Erfahrung in das Projekt eingebracht. Konnten Sie auch etwas aus der Zusammenarbeit mitnehmen?
Definitiv. Wir waren zwar in erster Linie Inputgeber, konnten aber gleichzeitig Ergebnisse des Projekts zur Optimierung unserer Arbeit nutzen. Schon die Projektarbeit an sich hat uns immer wieder motiviert, die eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen, uns dazu auszutauschen, was gut läuft und was weniger. Wir haben zudem einige Aspekte, die im Rahmen des Forschungsprojekts erarbeitet wurden, in unsere Gefährdungsbeurteilung aufgenommen. Auch der Austausch mit anderen beteiligten Unternehmen war hilfreich.
Man sollte sich trauen, Fehler zuzulassen – und gleichzeitig die Erfolge feiern.
Wie hat sich agiles Arbeiten bei Schwäbisch Hall seit der Einführung entwickelt, wohin geht die Reise?
Grundsätzlich stellen wir uns immer wieder die Frage, wo agiles Arbeiten Sinn ergibt und wo nicht. Bei Prozessen, die klare Vorgaben haben, die wiederkehrend sind und eindeutige Abläufe oder Termine – etwa den Jahresabschluss – haben, brauche ich nichts Agiles. Das wird relevant, wenn ich eine ungefähre Vorstellung von einem Produkt habe, aber noch nicht ganz genau weiß, wo ich hinwill. Auf die einzelnen Abteilungen bezogen: Nach der Anwendungsentwicklung und der Business Intelligence & Unternehmenssteuerung sind wir jetzt dabei, die Marktfolge zu agilisieren und agiles Arbeiten auch in der IT stärker zu nutzen. Es geht also Stück für Stück voran.
Was raten Sie abschließend Unternehmen, die agiles Arbeiten einführen wollen?
Als erstes muss man die Frage beantworten, vor welchen Herausforderungen man steht und ob agiles Arbeiten helfen kann, diese zu bewältigen. Und dann: Sich darauf einlassen und sich nicht von anfänglichen Schwierigkeiten entmutigen lassen! Niemand bekommt den Start perfekt hin, bei solch einer großen Veränderung gibt es immer Stolpersteine. Man sollte sich trauen, Fehler zuzulassen – und gleichzeitig die Erfolge feiern. Und: Es ist nicht schlimm, nach einem Schritt vorwärts auch mal zwei zurückzugehen, wenn man sich verrannt hat. Das schafft eine neue Perspektive und hilft, den richtigen Weg zu finden.
Digitale Roadmap „Gesund agil arbeiten“
Ob erfahrene Anwender oder interessierte Einsteigerinnen: Unternehmen, die auf eine gesunde Gestaltung der agilen Arbeit achten möchten, bietet die VBG mit der Roadmap „Gesund agil arbeiten“ eine praktische Hilfestellung. Aus dem Forschungsprojekt „Agiles Arbeiten – flexibel, gesund, erfolgreich“, das die VBG gemeinsam mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und der GITTA mbH durchgeführt hat, wurde ein modular aufgebautes Angebot entwickelt. Dieses können Interessierte eigenständig durchführen. Die Roadmap umfasst sowohl Konzepte für Workshops als auch Handlungsempfehlungen für den betrieblichen Einsatz. Die Angebotspalette reicht von der Einführung agiler Methoden bis zur gesunden Ausweitung des agilen Arbeitens im Unternehmen. Ein Modulnavigator hilft den Anwendenden dabei, herauszufinden, welches Angebot für sie passt. Alle Infos zur neuen VBG-Roadmap finden Sie hier.
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