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Eine Illustration mit drei Personen vor einem großen Laptopbildschirm. Eine Person sitzt links mit einem Koffer und hält eine Lupe. Eine Person in der Mitte steht vor einer Checkliste und setzt Häkchen. Eine Person rechts steht und hält einen großen Stift. Der Hintergrund ist hellblau.
Foto: VBG/Adobe Stock/Vectorwonderland

FAQGefährdungsbeurteilung psychischer Belastung: Das müssen kleine Unternehmen wissen

Psychische Belastungen spielen bei der Gefährdungsbeurteilung eine immer größere Rolle. Certo beantwortet die wichtigsten Fragen kleiner Unternehmen dazu.

Knappe Ressourcen, fehlendes Know-how, sperriges Thema – gerade kleinen Unternehmen kann eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung schnell als lästige Pflicht erscheinen. Doch die Prävention psychischer Erkrankungen ist wichtiger denn je: Im ersten Halbjahr 2024 erreichte die Zahl der durch sie verursachten Fehltage in Deutschland ein neues Rekordniveau. Ulf Krummreich, VBG-Arbeitspsychologe, rät daher kleinen Unternehmen dringend, die Berührungsängste abzulegen. Denn wichtig sei, dass kleine Unternehmen überhaupt ins Tun kommen und Lösungen finden, die zum eigenen Unternehmen passen. Im Certo-FAQ beantworten Krummreich und seine Kollegin Dr. Nicole Deci häufig gestellte Fragen zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung.

Welche gesetzlichen Grundlagen gibt es für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen?

Unternehmen sind laut Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, um Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten zu ermitteln. Dies schließt seit 2013 auch explizit psychische Belastungen ein.

Was genau versteht man unter psychischer Belastung?

VBG-Arbeitspsychologe Ulf Krummreich empfiehlt kleinen Unternehmen einen Workshop oder ein anderes Besprechungsmodell zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Foto: VBG/Claudia Eggert

Psychische Belastung meint zunächst einmal äußere Einflüsse, die psychisch auf eine Person einwirken und per se neutral sind. Entscheidend ist, was die Belastung mit der Person macht. Das hängt von ihren individuellen Ressourcen ab. Diese psychische Beanspruchung kann negative oder positive Folgen haben. „Es gibt natürlich psychische Belastungen, die immer schädlich sind, wie zum Beispiel toxisches Führungsverhalten“, sagt Ulf Krummreich. „Andere Belastungen können aber auch beherrschbare Herausforderungen sein, an denen man wachsen kann.“ Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung hat den Zweck, diejenigen Belastungen zu identifizieren, die bei der überwiegenden Zahl der Beschäftigten zu negativen Beanspruchungsfolgen und Gefährdungen der Gesundheit führen.

Welche Rolle spielen psychische Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung?

Die Gefährdungsbeurteilung kann gerade für kleine Unternehmen ein Weg sein, sich dem Thema betriebliches Gesundheitsmanagement zu öffnen, meint VBG-Arbeitspsychologin Dr. Nicole Deci.
Foto: VBG/Jara Tiedemann

Dass psychische Belastungen gleichwertig zu anderen Gefährdungen sind, ist unstrittig. Denn dahinter steckt all das, womit Beschäftigte jeden Tag im Arbeitskontext konfrontiert sind: Wie wird eine Arbeitsaufgabe gestaltet? Wie ist die Arbeit organisiert? Wie sind die sozialen Beziehungen? Wie sind die Arbeitsmittel, die Arbeitsumgebung und die Arbeitszeit geregelt? „Gerade in den letzten Jahren, in denen sich – auch durch neue Technologien – physische Belastungen reduziert haben, haben psychische Einflussfaktoren an Bedeutung gewonnen“, sagt VBG-Arbeitspsychologin Dr. Nicole Deci. In vielen Branchen sind psychische Belastungen wie Zeitdruck, hohe Arbeitsmenge, Erfolgsdruck sowie soziale und emotionale Belastungen heute das größere Problem. Neben Atemwegs- und Muskel-Skelett-Erkrankungen verursachen psychische Erkrankungen die meisten Ausfalltage.

Bei negativen Folgen psychischer Belastung denken viele an Burnout. Welche Folgen drohen noch?

Ein Burnout ist bereits eine sehr extreme Form einer Abwärtsspirale. Psychische Belastungen können aber auch zu Ermüdung und erhöhtem Stresserleben führen. „Daraus können eine beeinträchtigte Aufmerksamkeit, die Abnahme der Konzentration oder Fehleinschätzungen resultieren, die wiederum potenziell sogar zu Arbeitsunfällen führen können“, so Dr. Nicole Deci. Folgen von Dauerstress und Leistungsdruck können auch körperliche Erkrankungen zum Beispiel des Herz-Kreislauf-Systems sein oder der Missbrauch leistungssteigernder oder entspannender Substanzen. Fühlen sich Beschäftigte dauerhaft überlastet, kann das ebenfalls zu Lasten der Motivation gehen oder eine hohe Fluktuation begünstigen.

Warum sollten kleine Unternehmen eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung durchführen?

Kleine Unternehmen sind dazu verpflichtet und können genauso davon profitieren wie große, wenn sie sich Prozesse oder Kommunikationsstrukturen anschauen und insgesamt über die Arbeitssituation ins Gespräch kommen. Das ist oft aufgrund der begrenzten Ressourcen schwieriger. „Aber man kann ja kreativ werden und sich zum Beispiel von starren Workshopkonzepten lösen“, sagt Ulf Krummreich. „Etwa indem man sich immer freitags trifft, gemeinsam etwas isst und sich darüber austauscht, was gut und was schlecht läuft. Hält man das schriftlich fest und leitet Maßnahmen ab, hat man eine Gefährdungsbeurteilung – und kommt mit wenig Aufwand in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.“ Aufgrund fehlender Ressourcen gibt es in kleinen Betrieben häufig kein betriebliches Gesundheitsmanagement. „Die Gefährdungsbeurteilung kann hier ein Weg sein, sich dem Thema zu öffnen, um die Arbeitsbedingungen möglichst gut zu gestalten“, sagt Dr. Nicole Deci.

Können kleine Unternehmen die Gefährdungsbeurteilung allein durchführen oder brauchen sie externe Unterstützung?

Unternehmen sind nicht verpflichtet, sich für die Gefährdungsbeurteilung externe Unterstützung zu holen. Kleinen Unternehmen bietet die VBG passende niedrigschwellige Unterstützungsangebote, mit denen sie selbst loslegen können. Dazu zählt zum Beispiel das Workshop-Verfahren Kurzanalyse im Team (KiT). Weitere Angebote speziell für kleine Unternehmen sind DIAdrei und die KPZ-Betreuung. Wer Beratung der VBG benötigt, kann sich zudem an die Bezirksverwaltungen der VBG wenden.

Wie kann die Gefährdungsbeurteilung für einen kleinen Betrieb mit acht Beschäftigten aussehen?

Dafür gibt es keine konkreten Formvorgaben. „Ich empfehle kleinen Unternehmen einen Workshop oder ein anderes Besprechungsmodell“, so Ulf Krummreich. „Wovon ich abrate, sind Checklisten, in denen der Chef oder die Chefin die Situation ‚von oben herab‘ beurteilt. Die Mitarbeitenden sollten unbedingt einbezogen werden.“ Die VBG bietet dafür zum Beispiel das moderierte und evaluierte Verfahren Kurzanalyse im Team (KiT) an. Mit diesem Workshopverfahren haben Betriebe die Möglichkeit, unter Einbeziehung der Mitarbeitenden, eine Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung zu erarbeiten. Die VBG liefert hierfür die Vordrucke, den Moderationsleitfaden sowie weitere Materialien. Im Bedarfsfall unterstützt die VBG mit Pilotworkshops oder Seminarangeboten die betriebliche Umsetzung.

Wie viel Zeit muss für die Durchführung eingeplant werden?

„Kleinen Unternehmen rate ich, mit einem Vormittag loszulegen“, sagt Ulf Krummreich. „Einmal in drei bis vier Stunden alles durchspielen, Themen festlegen, nicht mehr.“ Die KiT-Workshops (Kurzanalyse im Team) der VBG, die sich dafür anbieten, sind für einen halbtätigten Workshop gut geeignet. Kommt dabei heraus, dass es viele Baustellen gibt, muss natürlich der nächste Schritt folgen. „Wichtig ist es, erst einmal ins Tun zu kommen“, so Krummreich. Auch damit kommen Unternehmen ihrer gesetzlichen Pflicht nach: Können sie nachweisen, dass sie in den Prozess der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung eingestiegen sind, ist ein wichtiger Schritt getan.

In welchen Abständen muss die Gefährdungsbeurteilung wiederholt werden?

Das ist gesetzlich relativ grob festgelegt: wenn sich wesentliche Arbeitsinhalte oder Arbeitsweisen ändern. Für kleine Unternehmen bedeutet das in der Regel nicht, dass sie jedes Jahr eine Gefährdungsbeurteilung durchführen müssen. Ändern sich wesentliche Dinge an der Arbeitssituation, an der Zusammenarbeit oder an den Inhalten, sollten sie auch die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung wiederholen.

Wie müssen Unternehmen dokumentieren, dass sie eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt haben?

Dafür gibt es keine konkreten Formvorschriften. „Als kleines Unternehmen sollten Sie es sich einfach machen“, so Ulf Krummreich. „Halten Sie die Ergebnisse zum Beispiel in Flipcharts oder in einem Word-Dokument fest. Dokumentieren Sie, dass sich Mitarbeitende beteiligt haben, fotografieren Sie die Flipcharts als Fotoprotokoll und halten Sie die Ergebnisse schriftlich fest.“ Leicht umzusetzen ist zum Beispiel auch eine dreispaltige Tabelle, in der die Aufgaben, die Verantwortlichen und der Zeitrahmen für Maßnahmen festgehalten werden. „Dann ist für uns als gesetzliche Unfallversicherung plausibel, dass etwas getan wurde“, so Krummreich. „Denn darum geht es: dass man nachvollziehen kann, wie Sie zu den Ergebnissen gekommen sind.“ Kleinen Unternehmen bietet die VBG mit der Kurzanalyse im Team (KiT) hier Unterstützung.

Müssen Vorgesetzte dabei sein?

Nein, müssen sie nicht. Das kann Vorteile haben, weil dann schneller über Maßnahmen gesprochen werden kann. Oft sind aber Vorgesetzte selbst oder der Führungsstil ein Thema. Dann sollte vorher festgelegt werden, wie die Ergebnisse zurückgemeldet werden, etwa in anonymisierter Form. „Man sollte auf der einen Seite Führungskräfte schützen, damit diese sich nicht aus Angst gegen eine Gefährdungsbeurteilung wehren“, so Ulf Krummreich. „Auf der anderen Seite ist das Vorgesetztenverhalten ein wesentlicher Teil der sozialen Beziehungen in einem Unternehmen und kann sowohl Belastung als auch Ressource sein.“ Daher ist es wichtig, dass es besprochen wird und sich alle trauen, sich einzubringen. Andernfalls ist eine Gefährdungsbeurteilung unvollständig.

Wie sorgen wir dafür, dass alle heiklen Themen angesprochen werden?

Indem Sie eine offene Gesprächssituation schaffen, eine möglichst neutrale Moderation einbinden und verdeutlichen, warum Sie das Ganze tun: nicht, um gesetzlichen Ansprüchen Genüge zu tun. Die Gefährdungsbeurteilung ist kein Selbstzweck, sondern soll helfen, die Arbeitssituation positiv zu gestalten. Sie müssen im Vorfeld glaubwürdig vermitteln, dass über alles gesprochen werden darf und soll. „Das ist wirklich entscheidend: Wenn die heiklen Themen nicht angesprochen werden, müssen Sie die Gefährdungsbeurteilung nicht machen, dann produzieren Sie einen Papiertiger“, so Ulf Krummreich. „Und das sollten gerade kleine Unternehmen mit begrenzten Ressourcen vermeiden.“

Was können konkrete Maßnahmen sein, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt und umgesetzt werden sollen?

Das kommt ganz auf das einzelne Unternehmen an. „Wir sehen, dass es vor allem in Sachen New Work bei vielen Unternehmen noch Nachholbedarf gibt“, so Ulf Krummreich. Hier ist es zum Beispiel wichtig, klare Erwartungen an die Arbeit im Homeoffice zu definieren. Das betrifft vor allem die Erreichbarkeit, aber auch Vertretungsregeln und die Kommunikation in hybriden Teams insgesamt. Eine gute Übersicht typischer Ansatzpunkte und Empfehlungen zur Umsetzung bietet die GDA-Broschüre Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung.

Auf welche Unterstützungsangebote der VBG können Unternehmen zurückgreifen?

Für kleine Unternehmen empfiehlt sich das Workshop-Verfahren Kurzanalyse im Team (KiT). Auch die kostenfreie Online-Veranstaltungsreihe WIRtuell hat immer wieder die Gefährdungsbeurteilung Psyche im Angebot. Hilfreich ist auch der direkte Kontakt zu den Präventionsabteilungen in den VBG-Bezirksverwaltungen. Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten unterstützt die VBG außerdem mit der kostenfreien DIAdrei- und der KPZ-Betreuung beim Arbeitsschutz, auch bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung.

Fokusmonat „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“

Der November steht bei der VBG ganz im Zeichen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Die Veranstaltungsreihe WIRtuell widmet dem Thema insgesamt 13 jeweils zweistündige Online-Kurse, an denen VBG-Mitgliedsunternehmen kostenfrei teilnehmen können – vom Grundlagenwissen über die konkrete Vorbereitung bis hin zur Ableitung von Maßnahmen. Eine Übersicht der Veranstaltungen finden Sie hier.

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