Laut Gesetzgeber sind die Themen Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz Chefsache. Das Arbeitsschutzgesetz besagt: „Der Unternehmer hat die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu treffen.“ Wer ein Unternehmen leitet, versucht natürlich, alles im Blick zu behalten, von der Auftragslage bis zur Zeiterfassung. Die umfangreichen Vorschriften rund um Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz können allerdings ganz schön in Atem halten, auch wenn es „nur“ um Bürotätigkeiten geht. Dass sie eine Gefährdungsbeurteilung durchführen müssen, wissen viele Unternehmerinnen und Unternehmer. Aber wie das alles funktioniert und wie sie ihren gesetzlichen Fürsorgepflichten umfassend gerecht werden, um ihre Beschäftigten körperlich und seelisch gesund zu halten, ist nicht allen bekannt. Hier hilft der VBG-Pflichtenkompass, eine Webapplikation, die Interessierte schnell und unkompliziert durch den Dschungel der Vorschriften führt.
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In 30 Minuten schlau geklickt
Mit wenig Aufwand analysiert das Tool anonym die gegenwärtige Lage der Sicherheit am Büroarbeitsplatz im eigenen Unternehmen und verweist in kompakter Form auf individuelle Verbesserungsmöglichkeiten sowie weiterführende Informationen und Unterstützungsangebote der VBG. Wer 30 Minuten investiert, hat viel gelernt: Fünf kurze Fragen zum eigenen Unternehmen helfen bei der Analyse des Ist-Zustandes. Anschließend können die Nutzenden herausfinden, welche Themen zum Arbeitsschutz speziell für sie wichtig sind. Im nächsten Schritt werden die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten analysiert. Danach werden konkrete Verbesserungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Mithilfe einer individuellen Aktionsliste können Nutzerinnen und Nutzer sofort loslegen. Das Programm ist dabei so smart, dass es beispielsweise sofort berechnet, wie viele Brandschutzhelfende oder Ersthelfende ein Unternehmen braucht.
Ergebnisoffene Herangehensweise
Nicht nur das Tool, auch seine Entstehungsgeschichte ist Innovation pur. „Das für die Entwicklung zuständige Team bei der VBG hat erstmals mit Design-Thinking-Methoden gearbeitet“, erklärt Annette Jacobs, die als Projektleiterin der VBG von Anfang an dabei war und die Story des Pflichtenkompasses so gut kennt wie keine zweite. Design Thinking? Dabei handelt es sich um einen Prozess zur Förderung von kreativen Ideen, der in den 1990er-Jahren in Kalifornien erfunden wurde. Er zielt darauf ab, Innovationen zu entwickeln, die sich in erster Linie an den Nutzenden und deren Bedürfnissen orientieren. „Es geht um den Lösungsweg und das Hineinversetzen in die Anwenderinnen und Anwender. Im Mittelpunkt bei allen Überlegungen steht immer der Mensch“, erklärt Heiko Tullney. Als Leiter des Teams von Indeed Innovation hat er gemeinsam mit der VBG-Arbeitsgruppe den Pflichtenkompass entwickelt und die VBG-Arbeitsgruppe in die Methoden des Design Thinking eingeführt. „So wie Produkte nur dann gut entworfen sind, wenn sie sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, so sind auch Konzepte nur wirklich tragfähig, wenn sie die Probleme von Menschen auch tatsächlich lösen“, führt Tullney aus. VBG-Expertin Annette Jacobs schmunzelt: „Wir haben so viele wirklich gute Produkte im Haus, aber uns fehlt in manchen Bereichen die Sicht von außen.“ Aus Seminarrückmeldungen war bekannt, dass Unternehmerinnen und Unternehmer teilweise nicht hundertprozentig einschätzen können, worauf sie bei der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung achten müssen und wo alle diesbezüglichen Informationen zu finden sind.
Auch die Zielgruppe wurde klar eingegrenzt: „Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten bietet das VBG-KPZ-Portal viel Unterstützung rund um ihre gesetzlichen Pflichten. In großen Unternehmen kümmern sich meist ausgebildete Fachkräfte für Arbeitssicherheit um dieses Thema. Wir wenden uns an die Gruppe dazwischen“, macht Jacobs deutlich.
Entwicklung mithilfe der Zielgruppe
Typisch Design Thinking: Welches konkrete Unterstützungsangebot am Ende des Prozesses herauskommen würde, war dabei offen. „Wir hatten Ideen von Gamification über Trainings bis zu einer Roadshow. Erst nach mehreren Iterationsschleifen, wie man die einzelnen Verbesserungsschritte nennt, wurde der Pflichtenkompass entwickelt. Am Ende ist eine Website entstanden, weil sie orts- und zeitunabhängig Hilfe bieten kann“, berichtet Jacobs. Unternehmerinnen und Unternehmer waren dabei in mehreren Formaten beteiligt, ob bei persönlichen Befragungen und Präsentationen oder auf Basis von Internetsimulationen. Immer wieder wurde geprüft: Sind unsere Botschaften verständlich? Sind sie relevant für die Zielgruppe? Tullney selbst musste den VBG-Kosmos erst mal kennenlernen und verstehen und besuchte zur Vorbereitung ein Seminar der gesetzlichen Unfallversicherung. Die dort anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmer erklärten ihm, dass die Fülle von Informationen manchmal eher hinderlich dabei sei, aktiv zu werden. Genau hier setzt der Pflichtenkompass an: „Er nimmt es Interessierten ab, eine ganze Broschüre oder ein Gesetz von vorn bis hinten durchzuackern, indem er die Informationen auf ihren Kern reduziert“, erklärt Annette Jacobs. „Das ist essenziell, damit die Nutzenden Lust bekommen, sich mit den Themen zu beschäftigen“, weiß Tullney. Denn: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind Unternehmerinnen und Unternehmern zwar wichtig, stehen aber nicht permanent im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. „Wer ein Unternehmen führt, möchte dieses mit ganzer Kraft voranbringen“, erläutert der Experte.
Unternehmen profitieren vielfältig
Und dabei helfen Maßnahmen wie eine Gefährdungsbeurteilung, ist sich Annette Jacobs sicher: „Wer die Vorschriften einhält, sorgt dafür, dass im eigenen Unternehmen besser gearbeitet wird“, ergänzt sie überzeugt. Wer beispielsweise in Prävention investiert, beugt krankheitsbedingten Ausfällen vor. „Seit ein paar Jahren ist auch die psychische Gefährdungsbeurteilung zur expliziten Pflicht geworden. Das betrifft ja auch gerade die Bürojobs, bei denen viele Beschäftigte von Stress und internen Konflikten betroffen sind“, erklärt sie. Wer sich informiert, legt also auch die Grundlage für eine gesunde und sichere Unternehmensentwicklung.
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