Es ist noch gar nicht lange her, dass bestimmte Berufskrankheiten nur anerkannt werden konnten, wenn die Betroffenen die Tätigkeit, die zu der Erkrankung führte, aufgaben. Dazu gehörten unter anderem Haut-, Atemwegs- und Bandscheibenerkrankungen. Erst eine Änderung der Sozialgesetzgebung, die am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist, hat dazu geführt, dass dieser sogenannte Unterlassungszwang bei Berufskrankheiten nicht mehr gilt. Betroffene können nun weiterhin ihren Beruf ausüben, und ihr Krankheitsbild wird gleichzeitig als Berufskrankheit anerkannt. Dadurch bekommen sie Unterstützung von der VBG und den anderen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, die über ihren umfangreichen Leistungskatalog hinaus die bestehenden Präventionsangebote für solche Versicherte weiter ausgebaut haben.
Rainer Kavermann gehört zu jenen, die in der Vergangenheit ihren Beruf hätten aufgeben müssen. Schwere körperliche Arbeit über viele Jahre hat seinen Rücken geschädigt. Der passionierte Motorradfahrer liebt seine Harley-Davidson , und auf einer anderen als dieser schweren amerikanischen Maschine kann man ihn sich nicht vorstellen. Auch in seinem Beruf hat der gelernte Gas- und Wasserinstallateur mit schweren Brocken zu tun. Er montiert bei der Refratechnik Ceramics GmbH in Melle schwere Werkzeuge, mit denen in bis zu acht Meter hohen Pressen mit mächtigem Druck eine granulierte Masse zu Steinen geformt wird.
Hohe körperliche Belastung ist hier unvermeidbar
Nach einer anschließenden Trocknung werden dann im nächsten Produktionsschritt die feuerfesten Erzeugnisse gebrannt. „Wir entwickeln Feuerfesttechnik hauptsächlich für die Aluminium- und Ziegelindustrie weltweit“, erklärt Bernd Austermann, Leiter Compliance bei Refratechnik Ceramics. Die Vielfalt und die hohe Spezialisierung der Produkte ermöglichen nur einen eingeschränkten Automatisierungsgrad an einigen Arbeitsplätzen. Austermann: „Wir leisten viel Handarbeit und können in der Produktion hohe körperliche Belastungen für die Mitarbeitenden leider nur bedingt vermeiden.“
Rainer Kavermann arbeitet seit 39 Jahren mit tonnenschweren Pressen. Er liebt seine Arbeit, obwohl die körperliche Beanspruchung durch das Heben der schweren Lasten ihn schon mehrfach zu langen Auszeiten gezwungen hat. „Ich habe zwei Operationen hinter mir. Zuletzt war ich 14 Monate außer Gefecht gesetzt“, berichtet er von Eingriffen und Reha-Maßnahmen. Obwohl sein Rückenleiden inzwischen als Berufskrankheit anerkannt ist, möchte Kavermann auf seine Arbeit nicht verzichten und ist froh über die gesetzliche Neuregelung des Berufskrankheitenrechts: „Wir haben hier ein tolles Betriebsklima, und ich mache meinen Job gerne.“
Ziel ist die Teilhabe am Arbeitsleben
„Im Vordergrund steht heute der Erhalt des Arbeitsplatzes. Wir wollen für die Betroffenen mit allen geeigneten Mitteln die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen“, erläutert Andreas Schad, Leiter der VBG-Bezirksverwaltung in Würzburg. Er betont, die 2021 in Kraft getretene Reform des Sozialgesetzbuches habe zu mehr Gleichbehandlung geführt. Es gebe seitdem mehr Anerkennungen von Berufskrankheiten, und auf einzelne Betroffene zugeschnittene Maßnahmen können für immer mehr Versicherte eine dauerhafte Weiterbeschäftigung sicherstellen. Zu diesen „individualpräventiven Maßnahmen“ kann ein Hautschutzseminar genauso gehören wie ein gezieltes, berufsspezifisches Rückentraining und Reha-Maßnahmen, wie Rainer Kavermann sie in Anspruch genommen hat.
Die VBG unterstützt auch die Betriebe bei der Suche nach Lösungen für mehr Prävention. Refratechnik-Ceramics-Compliance-Chef Bernd Austermann hat gemeinsam mit der zuständigen VBG-Aufsichtsperson den Arbeitsplatz von Rainer Kavermann unter die Lupe genommen. Ergebnis: Es wurde ein massiver Scherenhubtisch mit einer stufenlos verstellbaren Arbeitshöhe angeschafft, der schwere Lasten heben kann, sodass Rainer Kavermann mit den stählernen Werkzeugen hantieren kann, ohne sich immer wieder bücken zu müssen. „Das entlastet meinen Rücken erheblich“, sagt der 57-Jährige, der in seiner Zeit bei Refratechnik Ceramics bereits innerbetrieblich versetzt wurde, um seinen Rücken weniger zu belasten. „Wir haben einen kurzen Draht zur VBG“, betont Bernd Austermann. Es gebe einen regen Austausch mit den Expertinnen und Experten für mehr Arbeitssicherheit und Prävention.
Rainer Kavermann hofft, dass die neuen Arbeitsbedingungen dazu beitragen, dass er seinen Beruf bis zum Rentenalter ausüben kann. Auch seine Ehefrau Heike ist glücklich über die Erleichterung an seinem Arbeitsplatz. Beide freuen sich auf den Frühling und viele gemeinsame Motorradtrips, auf die sie wegen der Beschwerden Kavermanns lange Zeit verzichten mussten.
Was sich mit der Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts geändert hat, ist auf der Website des Spitzenverbandes DGUV zusammengefasst.
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