Lichtbögen sind gefährliche elektrische Gasentladungen, die bei hohen Spannungen zwischen zwei elektrischen Leitern entstehen können. Ein Lichtbogen kann so große Hitze erzeugen, dass Metallteile in der Umgebung verdampfen, und er kann sogar eine starke Druckwelle auslösen. Beim Abbau einer Elektroanlage in seiner Arbeitsstätte, dem Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg, hat Thomas Wolf im November 2016 am eigenen Leib erlebt, was das bedeutet. Mit schweren Verbrennungen an seinem Oberkörper, den Unterarmen, den Händen und im Gesicht kam er glücklicherweise mit dem Leben davon. Per Hubschrauber wurde er direkt in die BG Klinik Ludwigshafen, eine auf Verbrennungen spezialisierte Spezialklinik, geflogen. Nach monatelanger Krankenhausbehandlung mit mehreren Operationen und anschließender Reha konnte er im August 2018 wieder an seine Arbeitsstelle zurückkehren. „Alles musste ich neu lernen, beim Laufen angefangen“, erinnert sich Wolf, der sich mit viel Motivation zurück ins Leben kämpfte.
Ganz wie früher ist jedoch nicht alles. „Vor allem die Verletzungen von Herrn Wolf an beiden Händen haben dazu geführt, dass wir sein Arbeitsfeld umplanen mussten“, erklärt Prof. Dr. Gerhard Sextl. Er leitet das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, eines der wichtigsten europäischen Zentren für materialbasierte Forschung und Entwicklung in den Bereichen Energie, Umwelt und Gesundheit, und erinnert sich noch genau an den Tag des Unfalls. Der Institutschef war auf einer Sitzung, als ihn die Nachricht über den Unfall erreichte. „Ich habe das Treffen sofort verlassen und mich in den nächsten Zug gesetzt, bin nach Würzburg gefahren und habe mir vor Ort berichten lassen und unseren Vorstand informiert“, schildert Sextl rückblickend. „Wir haben daraufhin einen Krisenstab eingerichtet und erst mal versucht, uns ein Bild über den Vorfall und den Hergang zu verschaffen. Ich konnte erleichtert feststellen, dass die Ersthelferkette beispielsweise perfekt funktioniert hat. Doch im Hinblick auf die Unfallursache blieb die Unsicherheit groß: Natürlich zermartert man sich den Kopf, wie das passieren konnte.“
Lösungsorientiertes Denken
Bei der Aufarbeitung stand die VBG dem Institut zur Seite. Als Berufsgenossenschaft hat die VBG zwei Kernaufgaben: Die erste ist die Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Die zweite Aufgabe ist das schnelle und kompetente Handeln im Schadensfall, um die Genesung der Versicherten optimal zu unterstützen. Auch Polizei und Landeskriminalamt untersuchten den Vorfall. Indizien für menschliches Versagen oder mangelnde Sorgfalt wurden nicht gefunden. Durch den Unfall wurde die Stromversorgung des gesamten Institutsstandorts unterbrochen. Nachdem Thomas Wolf versorgt war, wurde im Fraunhofer ISC daran gearbeitet, die relevanten Anlagen möglichst schnell wieder in Gang zu bringen, um zu verhindern, dass sie Schaden nehmen. Wie gern hätten die Kolleginnen und Kollegen dabei auf Wolfs Erfahrung zurückgegriffen. Schließlich kennt niemand die elektrischen Anlagen besser als er. Vor Beginn seiner Tätigkeit für das Fraunhofer-Institut war er bei jenem großen Elektroinstallationsbetrieb beschäftigt, der die elektrischen Anlagen im neuen Institutsgebäude eingebaut hatte. Professor Sextl erklärt: „Wir waren sehr froh, Herrn Wolf für den dauernden Betrieb, die Wartung und weitere Aufgaben im technischen Dienst gewonnen zu haben, da seine Fachkunde des Systems immens ist. Nach dem Unfall standen viele von uns unter Schock.“
Wolfs lange Ausfallzeit und die damit einhergehende Ungewissheit der internen Planungen für die sich ständig ändernden Projektanforderungen in einem Forschungsinstitut stellten erhebliche Herausforderungen dar. „Was mich besonders beeindruckt, ist, dass das Fraunhofer ISC Herrn Wolf bereits sehr früh signalisierte, ihn weiterbeschäftigen zu wollen“, berichtet VBG-Reha-Manager Steffen Härschel. Er besuchte Wolf, sobald dies möglich war, und unterstützte ihn während des gesamten Rehabilitationsprozesses und Wiedereinstiegs im Institut. Heute besteht Wolfs Tätigkeit aus einer Kombination zwischen vorrangig beratenden und organisatorischen Tätigkeiten und zu einem geringeren Teil aus handwerklich-ausführenden. „Ich betreue beispielsweise die Gebäudeleittechnik, Lüftungs- und Energieanlagen und bin beteiligt an den technischen Planungen für neue Baumaßnahmen“, erklärt er.
Weiterbildung inbegriffen
Seit Herbst 2019 unterstützt ihn das Fraunhofer-Institut außerdem bei einer beruflichen Weiterqualifizierung: Jeden Samstag drückt Wolf neben seinem Job jetzt wieder die Schulbank, bildet sich bei einem Bildungsträger weiter und schreibt Tests und Examen. Ende des Jahres ist es geschafft, den Industriemeisterbrief sollte er dann in der Tasche haben. Bis dahin stellt ihn das Fraunhofer-Institut von seiner eigentlichen Arbeit frei, um den zusätzlichen Zeitaufwand aufzufangen. Die VBG übernahm die Kosten für die Weiterbildung und den durch die Freistellung anfallenden Teil des Arbeitsentgeltes. „Dass ein Unternehmen sich derartig engagiert, um einem verunfallten Beschäftigten eine Perspektive zu geben, kommt nicht so oft vor. Häufiger ist es so, dass die Betroffenen den Job wechseln müssen“, weiß Steffen Härschel. Für seine erfolgreiche Wiedereingliederung erhält das Fraunhofer ISC den Teilhabepreis 2021 der VBG. Das Preisgeld wird aller Voraussicht nach für Menschen gespendet, die nicht so gut abgesichert sind.
Thomas Wolf weiß es zu schätzen, wie sehr sein Arbeitgeber und die VBG ihm geholfen haben, nach einem langen Kampf zurück in den Job und damit in ein möglichst normales Leben zu finden. „Von Beginn an haben alle auf Augenhöhe und intensiv mit mir kommuniziert und mich in die Planungen transparent miteinbezogen.“ Er profitierte sehr von der frühzeitig gestellten Aussicht auf eine Weiterbeschäftigung und von der Unterstützung seiner Kolleginnen und Kollegen. „Das Gefühl, gebraucht zu werden, hat mir sehr gefehlt“, erklärt er. „Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Nach dem Unfall, das war schon eine harte Zeit. Aber ich sage immer gern: Das Leben ist die beste Ergotherapie!“
Teilhabe wird belohnt
Mit dem VBG-Teilhabepreis zeichnet die VBG alle zwei Jahre Unternehmen aus, die Teilhabe besonders erfolgreich umgesetzt haben. Bewerben können sich bei der VBG versicherte Unternehmen, die mindestens einer oder einem versicherten Beschäftigten nach einem Arbeits- oder Wegeunfall oder einer Berufskrankheit zurück ins gewohnte Leben geholfen haben. Informationen zur aktuellen Bewerbungsrunde gibt es im Netz.
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