Die Krankheit begann bei Christiane Wendel im Oktober 2020 eher harmlos. Leichter Husten und Mattigkeit waren die ersten Symptome. Wenig später konnte sie den Kaffeeduft nicht mehr wahrnehmen und auch nicht die Marmelade auf ihrem Brot schmecken. Zwar arbeitete sie damals schon aufgrund der Pandemie häufig im Homeoffice und nur noch sporadisch im Büro der M&S Steuerberatungsgesellschaft in Leipzig. Dennoch infizierte sie sich am Arbeitsplatz mit dem Virus bei einer Kollegin, die sich auf einer Familienfeier mit den Covid-Erregern angesteckt hatte – und auch Steuerberater und Chef Kay-Uwe Sachse musste feststellen, dass er das Virus in sich trug.
Seine Beschwerden waren leichter Natur und nach einigen Tagen wieder verschwunden, er benötigte keine weitere ärztliche Behandlung. Anders Christiane Wendel, die nach ihrer Quarantäne wieder ins Büro zurückkehrte. Die Symptome bei der 60-Jährigen nahmen nicht ab, sondern wurden immer stärker. Vor allem der Husten und die ständigen Atembeschwerden quälten sie. Auf dem Weg zur Arbeit musste sie Pausen einlegen, die Stufen zur S-Bahn waren für die passionierte Wanderin, die es bis dahin gewohnt war, lange Strecken zu laufen, plötzlich eine große Herausforderung. Den Grund für ihre Kraftlosigkeit, ihre zunehmende Schwäche, ihr Herzrasen und die Schmerzen in der Brust erfuhr sie nach mehrfachen Untersuchungen bei einem Kardiologen und einem Lungenfacharzt: Christiane Wendel litt unter Lungenembolien. Blutgerinnsel verstopften ihre Lungenarterien.
Als Kay-Uwe Sachse im Januar 2021 erfuhr, dass eine Ansteckung im Büro als Arbeitsunfall gilt, handelte er sofort. Er meldete die Infektion, hoffte auf Unterstützung und bekam sie umgehend. Weil Christiane Wendel sich zweifelsfrei am Arbeitsplatz infiziert hatte, meldete sich der zuständige Fall-Manager Ronny Nolle aus der VBG-Bezirksverwaltung Dresden bei ihm. „Wir wussten damals ja nicht viel über Behandlungsmöglichkeiten von solchen Langzeitbeschwerden. Frau Wendel war einer der ersten Fälle“, blickt Nolle zurück. Der Fall-Manager startete umfassende Recherchen: Er telefonierte mit Kliniken und befragte Lungenfachärztinnen und -ärzte. „Selbst dort herrschte zu dem Zeitpunkt verbreitet noch viel Unsicherheit“, berichtet er. Auch von Christiane Wendel ließ er sich die Beschwerden schildern und war schließlich erfolgreich: Er fand für sie einen Platz in der BG Klinik in Bad Reichenhall. „Als uns diese Nachricht erreichte, war ich richtig froh, dass die VBG da ist!“, so Arbeitgeber Sachse.
Anfang Juni dieses Jahres wurde Christiane Wendel in der Reha-Einrichtung aufgenommen: „Es gab einige Tests und eine Reihe von ärztlichen Gesprächen, dann habe ich mit Ausdauer-, Koordinations- und Entspannungstraining begonnen“, berichtet sie. Beim Schwimmen und Nordic Walking lernte sie, wie man unter Belastung richtig atmet, und stellte schon nach 14 Tagen erste Fortschritte fest. „Nur meine Konzentrationsschwäche machte mir noch Sorgen“, sagt sie.
Viele Organsysteme sind betroffen
„Wir haben bei den Covid-Fällen sehr schnell gesehen, dass nur wenige Betroffene ausschließlich mit Lungenproblemen zu uns kamen“, sagt Dr. Michael Stegbauer. Er ist ärztlicher Direktor der BG Klinik in Bad Reichenhall. Dort stehen normalerweise mehr als 220 Reha-Plätze zur Verfügung, ihre Anzahl musste jedoch wegen der Coronavirus-Vorsichtsmaßnahmen auf 180 reduziert werden. Etwa 35 berufsbedingt erkrankte Reha-Patientinnen und -Patienten, jene, die sich am Arbeitsplatz infiziert haben, werden dort jeweils vier bis sechs Wochen lang wegen ihrer Post-Covid-Beschwerden behandelt. „Sehr oft sehen wir uns mit schweren Schädigungen am Herzen und am zentralen Nervensystem konfrontiert. Das geht häufig einher mit Schlaflosigkeit, Angststörungen, Stimmungsschwankungen und dem Fatigue-Syndrom“, erklärt der Facharzt für Arbeits- und Allgemeinmedizin. Nach den Worten Stegbauers könne man bei Post Covid nicht von einem abgegrenzten Krankheitsbild sprechen, es gebe mehr als 200 Symptome, die beschrieben wurden, und etwa zehn Prozent aller Betroffenen würden unter Spätfolgen leiden. Es wird unterschieden zwischen Long Covid, das unmittelbar auf eine akute Covid-Infektion folgt, und Post Covid, das ein Krankheitsbild ab der zwölften Woche nach der Infektion beschreibt.
Alle Patientinnen und Patienten, die in Bad Reichenhall therapiert werden, waren ungeimpft, hatten sich Mitte des Jahres 2020 infiziert, als Impfstoffe noch nicht ausreichend zur Verfügung standen. Viele von ihnen arbeiten im Gesundheitswesen. Gerade junge Frauen mit einem aktiven Immunsystem seien häufig betroffen. Dr. Stegbauer spricht in diesen Fällen von einer „Überreaktion des Immunsystems“, die sie anfälliger für heftige Beschwerden einer Covid-Infektion mache. „Wir sehen, dass leistungsorientierte Menschen besonders leiden“, erläutert der Klinikleiter weiter, „und vor allem mentale Beeinträchtigungen machen vielen zu schaffen.“ Deshalb spiele zusätzlich zur Betrachtung aller wichtigen Organsysteme bei einer Long-Covid-Reha die psychologische Komponente eine wichtige Rolle: „Wir haben hier in Bad Reichenhall das Personal und das Know-how für eine individuelle und interdisziplinäre Therapie.“ Auch Fall-Manager Ronny Nolle und das Team der VBG standen Christiane Wendel während des gesamten Genesungsprozesses zur Seite.
Nicht beschwerdefrei – aber deutliche Besserung
Trotz aller Bemühungen sei nicht davon auszugehen, dass alle Patientinnen und Patienten die Rehaklinik völlig beschwerdefrei verlassen könnten. „Doch den allermeisten geht es deutlich besser“, sagt Stegbauer, der auf Basis einer laufenden Studie auch Maßnahmen für die Nachbetreuung verbessern möchte. Er verweist auf die Arbeit der Fall- und Reha-Manager der Unfallversicherungsträger, die Betroffene vor Ort betreuen und sie zum Beispiel bei einer stufenweisen Wiedereingliederung in den Beruf unterstützen.
„Ganz wichtig für mich ist, dass ich auch gelernt habe, die Leistungsfähigkeit meines Körpers einschätzen zu können“, sagt Christiane Wendel. Sie ist nach der Reha wieder bei 85 Prozent angekommen, wie sie selbst sagt. „Solange ich weiß, was auf mich zukommt, kann ich inzwischen im Alltag jede Herausforderung meistern“, sagt sie. Sie geht wieder wandern und macht Zumba, ein Fitnesstraining, das Aerobic mit lateinamerikanischen Tänzen kombiniert. Und Christiane Wendel freut sich, das zu tun, was sie seit mehr als 20 Jahren voller Freude macht: Sie geht ihrer Arbeit nach – im Wechsel zwischen Homeoffice und Büro. Kay-Uwe Sachse: „In dem Bereich hat uns die coronabedingte Umbruchphase wirklich vorangebracht.“
VBG vermittelt Reha-Plätze meist zügig
Und auch die Vermittlung der Patientinnen und Patienten in die Rehazentren verläuft jetzt deutlich schneller, als dies noch zum Jahresbeginn 2021 möglich war. „Die Meldungen von Infektionen am Arbeitsplatz mit Langzeitfolgen haben leider erheblich zugenommen“, berichtet Fall-Manager Nolle. „Wir können allerdings heute zügig nach Checklisten arbeiten und haben Routinen entwickeln können.“ Routinen, von denen der Fall-Manager gehofft hatte, dass sie durch eine hohe Impfquote wieder überflüssig werden würden. Doch leider gelten immer noch die Hinweise des Robert Koch-Instituts (RKI), dass fast alle Infektionen und vor allem die schweren Corona-Krankheitsverläufe nur noch bei Ungeimpften auftreten. Wie Unternehmen das Impfen unterstützen können: https://www.certo-portal.de/artikel/verantwortung-leben-impfen-best-practice-fuer-unternehmen/
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