Logo Certo
Foto: VBG/Adobe Stock/WavebreakMediaMicro

MotivationLust auf ein Ehrenamt? Einfach anfangen!

Fast 29 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten ohne Lohn. Warum eigentlich? Was motiviert sie? Ein Gespräch mit Psychologin Dr. Vivian Schachler.

Frau Schachler, Sie sind im Forschungsteam der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) – und bestimmt auch selbst ehrenamtlich aktiv, oder? 

Das stimmt. Seit 15 Jahren engagiere ich mich für ein lokales Musikfestival. Dieses Engagement bedeutet für mich, alte Freunde zu treffen – und vor allem viel Spaß. In den letzten Jahren kamen Elternratsaktivitäten hinzu. Dabei geht es mir vor allem darum, die Interessen der Kinder und Eltern durchzusetzen. Und darum, Einblicke in den Maschinenraum der Kitas und Schulen zu erhalten, damit ich etwas bewirken kann. Zuletzt habe ich gemeinsam mit anderen Frauen eine Frauengruppe gegründet, die Politikerinnen und Macherinnen in meinem Heimatort unterstützen möchte. Dadurch kann ich mich mit gleichgesinnten Frauen austauschen und das Leben vor Ort aktiv mitgestalten. Alle Engagements geben mir das Gefühl von Selbstwirksamkeit und helfen mir, mich in meinem Umkreis noch wohler zu fühlen.

Die DSEE unterstützt Ehrenamtliche und ihre Organisationen mit vielfältigen Angeboten. Dr. Vivian Schachler ist zuständig für den Bereich Forschung & Wissenstransfer.

Foto: DSEE/bundesfoto/Christina Czybik

Die DSEE unterstützt Ehrenamtliche und ihre Organisationen mit vielfältigen Angeboten. Dr. Vivian Schachler ist zuständig für den Bereich Forschung & Wissenstransfer.

Foto: DSEE/bundesfoto/Christina Czybik

Das stimmt. Seit 15 Jahren engagiere ich mich für ein lokales Musikfestival. Dieses Engagement bedeutet für mich, alte Freunde zu treffen – und vor allem viel Spaß. In den letzten Jahren kamen Elternratsaktivitäten hinzu. Dabei geht es mir vor allem darum, die Interessen der Kinder und Eltern durchzusetzen. Und darum, Einblicke in den Maschinenraum der Kitas und Schulen zu erhalten, damit ich etwas bewirken kann. Zuletzt habe ich gemeinsam mit anderen Frauen eine Frauengruppe gegründet, die Politikerinnen und Macherinnen in meinem Heimatort unterstützen möchte. Dadurch kann ich mich mit gleichgesinnten Frauen austauschen und das Leben vor Ort aktiv mitgestalten. Alle Engagements geben mir das Gefühl von Selbstwirksamkeit und helfen mir, mich in meinem Umkreis noch wohler zu fühlen.

Selbstwirksamkeit, Kontakte zu Gleichgesinnten, Spaß: Sind das Motive für ehrenamtliches Engagement, die Ihnen auch bei Ihrer Arbeit für die DSEE begegnen?

Auf jeden Fall. Ein Blick in den Deutschen Freiwilligensurvey 2019 zeigt: Die Mehrheit der Engagierten geben Spaß und die Möglichkeit, anderen Menschen zu helfen, als Motiv an. Interessant ist, dass ältere Engagierte auch die Chance, mit anderen Menschen zusammenzukommen, als Grund nennen. Jüngere Engagierte sehen dagegen häufiger das Motiv, eine Qualifikation erwerben zu wollen. Dennoch muss man sagen, dass die Gründe, sich zu engagieren, sehr individuell sind. Es gibt viele weitere Faktoren, wie persönliche oder lokale Verbundenheit, das Teilen von Werten oder Sinnerleben. Viel spannender ist aber meines Erachtens die Frage, warum sich manche Menschen nicht engagieren und welche äußeren Rahmenbedingungen dazu führen, dass Menschen vom Engagement ausgeschlossen sind.

Welche Gründe sind das?

Die Kommission des Vierten Engagementberichts der Bundesregierung, die in jeder Wahlperiode Handlungsempfehlungen für die Engagementpraxis und -politik gibt, hat sich mit diesen sogenannten Schwellen auseinandergesetzt. Die Kommission kommt zu dem Fazit, dass Unterschiede im Einkommen, in der Schulbildung oder eine Migrationsgeschichte die Beteiligungsmöglichkeiten wesentlich beeinflussen. Das heißt wiederum, dass nicht nur persönliche Motive, sondern auch soziale Ungleichheiten beeinflussen, ob wir ein Ehrenamt aufnehmen und langfristig ausführen.

Welche Herausforderungen für Ehrenamtliche sehen Sie darüber hinaus?

Aus Studien und persönlichen Gesprächen wissen wir, dass Finanzierungsfragen, zu viel Bürokratie und das Gewinnen von Nachwuchs zu den aktuell größten Herausforderungen zählen. Hier unterstützen wir als DSEE: Neben konkreten Hilfestellungen beim Fundraising oder hinsichtlich notwendiger Nachweispflichten sind wir auch bei politischen Diskussionsrunden dabei, die Gesetzesänderungen anstoßen wollen. Außerdem geben wir Praxistipps, wie sich mehr Nachwuchs gewinnen lässt: Vereinsvorstände sollten sich beispielsweise für die Vielfalt der Menschen und Ideen öffnen.

Ohne Nachwuchs geht es nicht – und ohne Ehrenämter sowieso nicht. Warum sind sie so wichtig?

Für jede Einzelne und jeden Einzelnen ist ein Ehrenamt ein Gewinn – denken wir an die soziale Teilhabe und die Möglichkeit, Veränderungen anzustoßen. Auf gesellschaftlicher Ebene zeigt sich, dass ehrenamtliches Engagement ein essenzieller Bestandteil einer lebendigen Demokratie ist. Es fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und übernimmt wichtige gesellschaftliche Aufgaben, die oft durch staatliche Strukturen nicht abgedeckt werden können – zum Beispiel die Freiwillige Feuerwehr oder Strukturen der Daseinsvorsorge, etwa die Geflüchtetenhilfe.

Ehrenamt in Deutschland: Zahlen & Fakten 

42 Prozent der Menschen im ländlichen Raum engagieren sich ehrenamtlich. In städtischen Regionen sind es 37 Prozent.**

30- bis 49-Jährige engagieren sich am häufigsten freiwillig (45 Prozent), gefolgt von den 14- bis 29-Jährigen (42 Prozent) und den 50- bis 64-Jährigen (41 Prozent).*

6 oder mehr Wochenstunden im Einsatz: Engagierte ab 65 Jahren investieren mehr Zeit als andere Altersgruppen.*

Mit 14 Prozent ist freiwilliges Engagement im Bereich Sport und Bewegung besonders beliebt – vor Kultur und Musik (9 Prozent) sowie sozialem Engagement (8 Prozent).*

Quellen:

*Deutsches Zentrum für Altersfragen (DZA): Freiwilliges Engagement in Deutschland: Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019. 2021/22

**Kühn, M., Kleiner, T.: Ungleiches Engagement in ländlichen und nicht-ländlichen Räumen. Bericht zur Sonderauswertung „Freiwilliges Engagement in unterschiedlichen Raumtypen“ auf Basis des Deutschen Freiwilligensurveys (2019) und des Sozio-oekonomischen Panels (2001–2019). 2023

In welchen Bereichen sind besonders viele Menschen freiwillig engagiert? 

Laut Deutschem Freiwilligensurvey 2019 gibt es in den Bereichen Sport und Bewegung, Kultur und Musik oder im Sozialen besonders viele Engagierte. Während Frauen sich eher im Bereich Schule und Kindergarten engagieren, sind die Männer häufiger im Unfall- und Rettungsdienst oder bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv. Der ZiviZ-Survey 2023 (Zivilgesellschaft in Zahlen) des Stifterverbandes deutet auf einen Wandel hin: Während der organisierte Sport trotz seiner Beliebtheit eher Engagierte verliert, vermelden die Organisationen aus den Bereichen Bildung und Umwelt einen Zuwachs an Engagierten. Hier scheinen sich die Interessen der Bevölkerung zu verschieben. Wichtig ist, zu berücksichtigen, dass räumliche Faktoren, wie Stadt gegenüber Land, Unterschiede machen: Auf dem Land engagieren sich die Menschen weiterhin eher traditionell, etwa im Sportverein, während sich Städterinnen und Städter mehr im Bereich Bildung und Wissenschaft engagieren. Ein weiterer Trend, der sich abzeichnet, ist, dass sich die Menschen eher weniger langfristig und verantwortungsvoll engagieren wollen.

Wie können Unternehmen ihre Beschäftigten dabei unterstützen, ein Ehrenamt auszuüben?

Unsere Erfahrung zeigt: In vielen großen Unternehmen ist die Freistellung von Beschäftigten für ein ehrenamtliches Engagement bereits in der Unternehmenspolicy verankert. Im Rahmen von sogenannten Corporate Volunteering Programmen werden Beschäftigte ermutigt, sich lokale Engagement-Angebote zu suchen und sich als Einzelperson oder als Team ehrenamtlich zu engagieren.

Und in kleinen Unternehmen?

Für kleine Unternehmen scheint es aktuell noch eine größere Herausforderung zu sein, die Beschäftigten für Aktivitäten außerhalb des Unternehmens freizustellen. Hier werden die finanziellen Einbußen als schwerwiegender bewertet als der Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Nichtsdestotrotz gibt es zahlreiche kleinere Vorreiter-Unternehmen. Die Bundesinitiative Unternehmen: Partner der Jugend (UPJ), ein Netzwerk für Unternehmensverantwortung und gesellschaftliches Engagement, ist hier ein wichtiger Ansprechpartner für Unternehmen, die sich gesellschaftlich engagieren wollen, und für zivilgesellschaftliche Organisationen, die Kooperationen mit Unternehmen eingehen wollen.

Was raten Sie Menschen, die selbst ehrenamtlich tätig werden wollen?

Einfach anfangen! Wer den Impuls verspürt, sich engagieren zu wollen, sollte direkt ins Gespräch gehen, andere Engagierte begleiten, recherchieren, Freiwilligenagenturen oder -vermittlungsstellen aufsuchen und erste Erfahrungen sammeln. Mehr als die Hälfte der Engagierten üben zwei oder mehr freiwillige Tätigkeiten aus. Das spricht auch dafür, dass, wenn der erste Schritt ins Ehrenamt getan ist, die Menschen eher engagiert – und zwar vielfältig engagiert – bleiben. Und damit einen wichtigen Beitrag für eine funktionierende Gesellschaft und den Zusammenhalt leisten. 

Versichert im Ehrenamt: Was wichtig ist

Nicht alle ehrenamtlichen Tätigkeiten sind gesetzlich abgesichert. Die gesetzliche Unfallversicherung greift, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Das Ehrenamt ist freiwillig und nicht Teil eines Beschäftigungsverhältnisses. Es ist unentgeltlich und erfolgt beispielsweise für

  • eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, zum Beispiel des Bundes oder einer anderen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts,
  • eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft und deren Einrichtungen, 
  • Vereine oder Verbände, die im Auftrag der Kommune handeln,
  • eine Einrichtung aus dem Bereich Bildungswesen, Rettungsunternehmen oder Wohlfahrtspflege.

Für das Engagement von gewählten und beauftragten Ehrenamtsträgern in gemeinnützigen Organisationen, für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes, in Verbandsgremien oder Kommissionen gilt: Engagierte können sich bei der VBG freiwillig versichern, aber auch Vereine und Verbände können ihre Mitglieder in der freiwilligen Versicherung absichern. 

Der Tipp von VBG-Versicherungsexpertin Regina Schmidt: „Besteht kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz und keine Möglichkeit, sich freiwillig bei einem gesetzlichen Unfallversicherungsträger zu versichern, sollten Engagierte sich erkundigen, ob für sie Versicherungsschutz bei einer regional zuständigen Unfallkasse (kraft Satzung) besteht. Oder ob sie von ihrem Verein oder Verband über eine private Unfallversicherung abgesichert sind. Einige Bundesländer haben ehrenamtlich Engagierte ebenfalls in einer privaten Unfallversicherung abgesichert.“

Mehr zum Thema „Unfallversicherung für Ehrenamtliche“ sowie zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Unfallversicherung finden Sie auf der VBG-Webseite oder in der Broschüre „Zu Ihrer Sicherheit – Unfallversichert im freiwilligen Engagement“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Veröffentlicht am

Das könnte Sie auch interessieren

Certo durchsuchen...